Interview Die Nachrichtenkompetenz unter deutschen Schülern ist nicht besonders gut. Viele Jugendliche können Fakten nicht von Falschmeldungen unterscheiden, sagt der Kommunikationswissenschaftler Alexander Sängerlaub.

Demokratie funktioniert nur mit gut informierten Bürgern. Aber viele Schüler haben Probleme, Nachrichten richtig einzuordnen, sagt Alexander Sängerlaub. Er hat das Problem untersucht – und fordert mehr Medienkunde in der Schule.

Herr Sängerlaub, wie sieht die Nachrichtenkompetenz von Schülern in Deutschland aus?
Um die Fähigkeit, im Netz glaubwürdige Nachrichten zu erkennen und Falschinformationen zu identifizieren, ist es nicht gut bestellt. So fällt es vielen Menschen schwer zu unterscheiden, was Meinung ist und was ein tatsachenorientierter Beitrag. Oder das Erkennen seriöser Quellen gelingt nicht.

Welche Unterschiede stellen Sie fest?
Gut gebildete junge Menschen mit gymnasialem Abschluss schneiden in unserer Untersuchung vergleichsweise gut ab. Gleichaltrige mit niedrigerem Schulabschluss schneiden besonders schlecht ab. Schaut man auf die Gesamtbevölkerung, nimmt allerdings die Nachrichtenkompetenz mit zunehmendem Alter ab.

Welche Folgen hat eine geringe Nach-richten- und Medienkompetenz?
Demokratie ist davon abhängig, dass wir in der Lage sind, uns gut zu informieren, damit wir gute demokratische Entscheidungen treffen können. Davon sind alle Lebensbereiche berührt, in denen Informationen eine Rolle spielen. Als abschreckendes Bei-spiel dienen die USA. Dort gab es mit Donald Trump einen Präsidenten, der unzählige ­Fake-News verbreitet hat. Gerade in Pandemiezeiten ist das richtige Einordnen von Nachrichten wichtig. Da hilft es nicht, wenn der US-Präsident empfiehlt, Desinfektions-mittel gegen das Coronavirus zu trinken.

Was sind die größten Schwachpunkte, die Sie gefunden haben?
Wir haben die Nachrichtenkompetenz in sechs Felder aufgeteilt. Erstens: die digitale Navigation. Hier geht es darum, Informationsschnipsel, die uns im Netz erreichen, schnell einzuordnen. Viele scheitern daran festzustellen, ob es sich um Information, Werbung oder eine Falschinformation auf Facebook oder Twitter handelt. Selbst wenn die Information etwa durch Faktenchecker markiert wurde. Bei der journalistischen Kompetenz geht es unter anderem darum, anhand der W-Fragen festzustellen, ob die Informationen vollständig sind. Drittens gibt es den Faktencheck, um dubiose Informationen herauszufiltern. Bei der kommunikationswissenschaftlichen Kompetenz geht es viertens darum zu unterscheiden, was der Unterschied zwischen Qualitätsmedien und dem Boulevard ist, aber auch etwas über Algorithmen zu wissen, die entscheiden, warum man bestimmte Dinge gezeigt bekommt und andere nicht. Fünftens muss ich als Debatteur entscheiden: Leite ich eine Information weiter? Wie bringe ich mich in den Diskurs ein? Und sechstens geht es – ab-gekoppelt – als Citoyen, also Staatsbürger, um die Grundeinstellung, ob man Demokratie und freie Medien gut findet. Wer Medien nicht vertraut, dem fällt es schwer, vertrauenswürdige Information zu finden.

Wie werden Kenntnisse über Journalismus in den Schulen vermittelt?
Es ist sinnvoll, Journalisten und Schulen wie im Projekt „Zeitung in der Schule“ zusammenzubringen. Aber das reicht nicht. Es ist eine riesengroße Aufgabe, mehr Wissen über unser Mediensystem zu vermitteln. In einer Zeitung wählt eine Redaktion aufwendig die Themen aus, prüft die Zuverlässigkeit der Quellen, versucht, vollständig und ausgewogen zu berichten. Man bekommt also einen großen, gut bestückten Blumenstrauß. Im Vergleich dazu stehe ich im Internet selbst auf der Wiese, muss die Blumen pflücken und mich fragen, welche davon sind viel-leicht giftig. Das erfordert bei allen Nutzern viel mehr Eigenverantwortung.

Und wie sieht der Umgang der Schüler mit klassischem Journalismus aus?
Nur noch wenige lesen Zeitung. Auch öffentlich-rechtliche Medien spielen kaum mehr eine Rolle. Dagegen sind soziale Medien wie Tiktok, Snapchat und Instagram wichtig. Das ist eine ganz andere Medienwelt. Aber Wissen über die klassischen Medien kann helfen. Da versteht man, warum eine Zeitung oder die „Tagesthemen“ im Vorteil sind, wenn es um verlässliche Informationen geht. Da stehen große Redaktionen dahinter, die ganz andere Möglichkeiten haben zu recherchieren als ein einzelner Influencer auf Youtube.

Was können Schüler selbst unterneh-men, um kompetenter zu werden?
Drei Fragen helfen, wenn man auf Information stößt, bei der man nicht sicher ist, ob sie glaubwürdig ist. Erstens: Wer ist die Quelle? Weiß ich, ob diese vertrauenswürdig ist? Zweitens: Gibt es Belege für das, was mitgeteilt wird? Kann ich das überprüfen? Und drittens: Was sagen andere Quellen dazu?

Das Gespräch führte Michael Weißenborn.

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