Hochschulen und Lehrer brauchen mehr Klarheit und Hilfe beim Wandel des Unterrichts –  nicht nur hin zum Digitalen.

Stuttgart – Das Schuljahr hat begonnen. Die   Kinder starten im Präsenzunterricht. Trotzdem bleiben die Erfahrungen aus dem vergangenen halben Jahr Thema. Thomas Knaus, Professor für ­Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Medienpädagogik an der PH Ludwigsburg, zieht Bilanz und äußert sich zu den künftigen Herausforderungen.

Herr Prof. Knaus, Corona bedeutete im Frühjahr für viele Eltern mit schulpflichtigen Kindern, von jetzt auf gleich „irgendwie digital“ zurechtzukommen. Wie bewerten Sie das Ergebnis?
Das, was im Frühjahr von Eltern und vielen Lehrerinnen und Lehrern geleistet wurde, war ein unglaublicher Kraftakt. Auch die meisten Schülerinnen und Schüler haben sich sehr bemüht, diese große gemeinsame Aufgabe zu meistern. Auch wenn nicht alles perfekt funktionierte, können viele wirklich mit Stolz zurück­blicken: Die Lernkurven aller Beteiligten waren steil. Hierbei darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass nicht alle Eltern über die gleichen Möglichkeiten verfügten, da die Belastungen aufgrund ungleicher sozialer und materieller Bedingungen –  wie auch Wohnsituationen –  sehr unterschiedlich verteilt sind.

Glauben Sie, dass es nun  besser gelingt?
Wie soll im neuen Schuljahr etwas besser gelingen, wenn über die Sommerferien –  landauf, landab –  strukturell nur wenig passierte? Wenn in den letzten Jahren mehr Schulträger die Medienausstattung und technische Infrastrukturen ihrer Schulen verbessert und die Lehrenden bereits umfangreichere Medienpraxis gesammelt hätten, könnten mehr Schulen –  wie es auch die Hochschulen für das kommende Wintersemester planen –  eine sinnvolle Kombination aus Online- und Präsenzunterricht anbieten und dadurch die Hygiene- und Abstandsregeln leichter einhalten. Bessere Ausstattung der Schulen und umfänglichere Erfahrungen der Lehrenden ermöglichen aber nicht nur besseren Fernunterricht, sondern auch die Medienkompetenzförderung.

Lassen Sie uns über Medienkompetenz sprechen – eines der Schlagwörter, die   in der Bildung nicht erst seit Corona Thema sind.
Gerne, denn die Förderung der Medienkompetenz der Schüler ist ja das wesentliche Ziel. Im Kontext des pandemiebedingten Fernunterrichts wurde primär über die mediendidaktischen Fertigkeiten der Lehrer gesprochen. Dass aber einige Lehrende während der Schulschließungen weiterhin guten Unterricht aus der Ferne anbieten konnten, war ein glücklicher „Nebeneffekt“ ihrer eigenen Medienkompetenz! In der Lehramtsausbildung bei uns in Ludwigsburg gibt es neben eigener Medienkompetenz und mediendidaktischen Fähigkeiten noch ein drittes Ausbildungsziel: die sogenannte medienpädagogische Kompetenz – das ist die Kompetenz, die Lehrende benötigen, um die Medienkompetenz ihrer Schüler zu fördern. Das übergeordnete Bildungsziel ist nämlich die Medienbildung, wie sie nach der Erklärung der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“ seit Beginn des Schuljahres 2018 verbindlich verankert ist und  in Baden Württemberg als „Leitperspektive“ implementiert wurde. Die Umsetzung dieser KMK-Vorgabe in den Ländern ist aber unterschiedlich: Einige favorisieren die fächerintegrative Medienbildung, andere fordern ein eigenes Fach. Nur, dass die Medienbildung in die Schule gehört, wird zum Glück nicht mehr hinterfragt.

Sind Sie  denn für ein eigenes Schulfach?
Die Idealform für die Medienbildung in der Schule wäre meines Erachtens die integrative oder fächerübergreifende Berücksichtigung medien- und technikspezifischer Aspekte, denn sinnvoll und möglich ist das in jedem Schulfach. Aber eine Integration der Medienbildung in allen Fächern würde erfordern, dass auch alle Lehrer im Rahmen ihres Studiums  medienpädagogische Inhalte und deren fachdidaktische Einbindung kennenlernen könnten.  Das geschieht bisher kaum, und das liegt auch daran, dass die Schule – wie auch die universitäre Lehrendenbildung – über eine Fächerstruktur organisiert ist: Neue Inhalte erreichen die Schule nur dann, wenn sie entweder als Fach etabliert werden oder als Grundlage des Lehramtsstudiums verstanden werden.

Was wäre also zu tun?
Damit das Lernen mit und über Medien im Unterricht aller Schulen ankommt, müssten entweder konsequent medienpädagogische Inhalte in die Studien- und Prüfungsordnungen aller Lehramtsstudiengänge aufgenommen und müsste zusätzlich innerhalb des fächerintegrativen Konzepts eine Art „Vernetzungsort“ für übergreifende Projekte und Arbeitsgruppen geschaffen werden. Oder es müsste doch ein eigenes Fach Medienbildung – gegebenenfalls auch als sinnvolle Kombination von Medienbildung und informatischer Bildung – etabliert werden.

Wie ist das im Grundschulbereich:  Bei VERA oder IGL schneidet Baden-Württemberg  seit Jahren nicht so richtig gut ab – aber wenn man nicht richtig gut lesen kann, was nutzt dann die beste Medienkompetenz?
Für mich ist diese Frage kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch, denn Alphabetisierung und Medienkompetenz lassen sich schwer voneinander trennen. Deutlich wird diese Nähe etwa im Englischen: Medienkompetenz wird in englischsprachigen Ländern als Media Literacy bezeichnet –  Medienkompetenz ist in diesem Begriffsverständnis also eine Art „mediale Alphabetisierung“. Das wird auch in den deutschsprachigen Fachdiskursen deutlich: Die Idee der Medienkompetenz fußt nämlich auf dem Konstrukt der kommunikativen Kompetenz und soll entsprechend befähigen, mit den medialen Möglichkeiten souverän umzugehen. Es geht also um die Kompetenz, analytisch und strukturell Wissen zu erwerben, und es geht um kreatives und partizipatives Handeln. In diesem Sinne geht es also weniger um Technik als um die Frage, wie und wozu wir digitale Medien nutzen.

Wird   zu viel Augenmerk auf die technische Seite die Medienkompetenz gelegt?
Im Mittelpunkt steht die Fähigkeit eines Menschen, Medien souverän für  eigene Ziele zu nutzen und selbst-, medien- und gesellschaftsbezogen zu reflektieren. Medienkompetenz ist nach diesem Verständnis nicht nur technische Bedienfähigkeit, sondern eine zentrale Lernaufgabe.

Wie müsste aus Ihrer Sicht der digitale Unterricht der Zukunft aussehen?
Guter Unterricht muss nicht unbedingt „digital“ sein. In Unterrichtshospitationen sehe ich manchmal, dass aus dem Wunsch, „digitalen Unterricht“ anzubieten, aus aktivierendem und kollaborativ ausgerichtetem Unterricht einseitige Lehrvorträge am Whiteboard werden. Das wäre aber ein Rückschritt. Für Lehrende an Schulen gibt es aber derzeit leider nur wenige Gelegenheiten, die Potenziale digitaler Medien sowie neue Unterrichtskonzepte kennenzulernen. Dies ist aber nötig –  gerade dann, wenn Lehrende aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung von Corona über neue Unterrichtsformen nachdenken.

Die Fragen stellte Carola Stadtmüller

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